Text Handlungssituation
Amar hat eine Ausbildung zum sozialpädagogischen Assistenten begonnen. Jeweils dienstags arbeitet er in der Kita „Purzelbaum“. Er ist im Team der Krippenkinder in der Gruppe der „Wühlmäuse". Amar hatte sich eigentlich für die Arbeit mit den älteren Kindern interessiert, aber da hat er keinen Platz mehr bekommen. In der Wühlmäuse-Gruppe sind 10 Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren. Mit den ganz Kleinen zu kommunizieren, wenn die gar nicht sprechen können, hatte er sich schwer vorstellen können. Und auch wenn er sich dort wohlfühlt, hat er immer noch keinen rechten Zugang zu den Kindern gefunden.
Jetzt am Abend sitzt Amar müde auf dem Sofa im Wohnzimmer und scrollt durch die sozialen Netzwerke. Bei all den Posts seiner Freunde freut er sich jetzt schon auf das nächste Wochenende. Oft geht Amar feiern und tanzen. Und nicht selten ist seine Stimme sonntags heiser, weil sie alle bei der Musik laut mitsingen und auch noch auf dem Weg nach Hause ihre Lieblingssongs zusammen singen. Er merkt gar nicht, dass er angefangen hat leise einen seiner Lieblingssongs vor sich hin zu singen. Da spricht ihn seine kleine Schwester an, die am Esstisch sitzt: „Hey Amar, singt ihr bei Dir auf der Arbeit eigentlich viel mit den Kindern? Hab' gehört, dass das echt gut sein soll für die Kleinen."
Amar schreckt auf: „Was, äh, nee, also ich nicht. Ich kann nicht singen." Seine Schwester steht auf und beim Rausgehen sagt sie: „Quatsch Amar, Du kannst voll gut singen und Du singst doch auch gerne. Musst halt mal ein paar Lieder für Kinder lernen. Deine Musik passt, glaube ich, nicht so richtig dahin, oder." Und damit ist sie verschwunden. Amar versucht sich wieder zu entspannen und scrollt noch ein bisschen im Handy rum. Da spricht ihn plötzlich ein Post einer Kollegin aus der Kita an, den er sich näher anschaut. Es sind Zitate: „Musik ist eine universelle Sprache“ - „Wo Sprache aufhört, fängt Musik an" - „Bevor ein Kind spricht, singt es.“ - „Singen ist Ausatmen in schön.“
Nun muss Amar doch an seinen Tag in der Kita denken. Und er erinnert sich an all die Situationen, in denen heute gesungen wurde.
Özbek (1;3 Jahre) wird von ihrer Mutter in die Wühlmäuse-Gruppe gebracht. Die Erzieherin Wanja, die auch Amars Anleiterin ist, begrüßt die beiden an der Gruppenraumtür liebevoll. Kurz tauscht sie sich mit der Mutter aus und nimmt dann Özbek auf den Arm. Die Mutter winkt noch und als diese nicht mehr zu sehen ist, fängt Özbek an zu weinen. Wanja fängt an ein kleines Liedchen zu singen und läuft mit Özbek durch den Raum. Schon kurz darauf beruhigt sich das Kind und findet Interesse an etwas anderem im Raum.
Als alle Kinder angekommen sind, setzen sich die drei Fachkräfte, die Praktikantin und Amar mit den Kindern in den Morgenkreis. Passend zur Jahreszeit sprechen die Erwachsenen einen Herbstvers und machen dazu Bewegungen. Einige Kinder machen mit. Und selbst die ganz Kleinen schauen interessiert, sitzen freudig dabei und bewegen sich rhythmisch. Der Vers wird mehrere Male wiederholt. Die Kinder haben große Freude daran. Dann wird noch ein Begrüßungslied gesungen und am Ende ein Abschlusslied. Der Vers und auch die Lieder sind, seit Amar in der Kita ist, dieselben. Amar macht nicht mit und schaut nur zu.
Am Vormittag gehen sie noch mit den Kindern raus in den Krippen-Spielbereich. Amar sitzt am Sandkasten dabei. Juri (2;10 Jahre) kommt mit einem Eimer an, den er an einem Stock gehängt trägt. „Amar!“ ruft er, „eine Laterne!“. Juri beginnt zu singen: „Ich geh mit meiner Laterne, meine Laterne, und die Sterne, Mond und Sterne, rabimmel, rabammel, rabum.“ Amar muss lachen. „Ich glaube, das Lied geht ein bisschen anders", sagt Amar. „Wie denn?“, fragt Juri. Doch das weiß Amar nicht und wird still. Juri geht weiter und singt fröhlich.
Vor dem Mittagessen singen immer alle das Wühlmäuse-Mittagsrast-Lied. Dazu machen die Kinder Bewegungen. Nike (2;1 Jahre) und Alex (1;8 Jahre) sind ungefähr zeitgleich mit Amar neu in die Gruppe gekommen. Sie singen begeistert mit. Amar sitzt zwischen ihnen. Weder singt er mit, noch macht er die Bewegungen mit. Nike und Alex schauen ihn zwischendurch kurz an. Schauen dann aber wieder weg und kommunizieren durch Blicke mit den anderen Erwachsenen am Tisch, die mitsingen. Amar kann sich die Texte einfach nicht merken.