Ich kann die Ursachen für das Handeln von Menschen beurteilen* und nutze dazu das Modell des Homo oeconomicus.

Warum tun Menschen manchmal Dinge, die offensichtlich schädlich für ihre Mitmenschen oder die Umwelt sind? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Weil es zumindest kurzfristig rational (= vernünftig) erscheint. In der Volkswirtschaftslehre geht man generell davon aus, dass Menschen stets rational handeln. Dieser Mensch wird Homo oeconomicus genannt. 

1. Wer ist der Homo oeconomicus? 

 Der Homo oeconomicus ist ein Modell und zumindest aus volkswirtschaftlicher Sicht so etwas wie ein „idealer“ Mensch. Dieser Mensch: 

  • handelt immer rational (= vernünftig)
  • kennt alle Güter inklusive deren Qualität, Preis, Eigenschaften etc.
  • maximiert seinen Nutzen, indem er dem Minimalprinzip oder Maximalprinzip folgt
  • ändert seine Meinung nie

Sehr viele volkswirtschaftliche Annahmen, die Sie in den folgenden drei Jahren im Unterricht kennenlernen werden, basieren auf dem Modell des Homo oeconomicus. Allerdings handelt es sich – wie bereits gesagt – nur um ein Modell. 

 
2. Was sind volkswirtschaftliche Modelle? 

Unsere Welt und menschliches Verhalten sind sehr kompliziert. Dies trifft natürlich auch auf die Wirtschaft zu. Deswegen wird in der Volkswirtschaftslehre oftmals mithilfe von Modellen wie dem Homo oeconomicus gearbeitet.

Modelle reduzieren Sachverhalte auf das Wesentliche, indem sie unwichtige Dinge weglassen und so dabei helfen „den Wald vor lauter Bäumen“ noch zu sehen. 

BeispielBeispiel: Im Rahmen der Abi-Abschlussfahrt fährt die ganze Klasse nach Hamburg. Dort angekommen, möchten Sie von einem Freund den schnellsten Weg in eine drei Kilometer entfernte Bar wissen. Der Freund soll Ihnen den Weg aufzeichnen. Vermutlich wäre es wenig hilfreich, wenn Ihr Freund eine Karte anfertigen würde, in der jedes Detail eingezeichnet ist. Dann wäre die Karte exakt drei Kilometer lang. Es ist also sinnvoll, sich bei Modellen auf das Wesentliche zu beschränken und unwichtige Dinge wegzulassen.

BeispielBeispiel: Würde der Homo oeconomicus ständig seine Meinung ändern und zuweilen völlig irrationale Entscheidungen treffen, dann könnte man keine sinnvollen Vorhersagen über das menschliche Verhalten treffen. Aus diesem Grund geht man im Modell davon aus, dass sich Menschen rational verhalten und eine einmal getroffene Entscheidung nicht gleich wieder ändern. 

 

3. Was versteht man unter „Nutzen“? 

Gemäß den obigen Annahmen maximiert ein ökonomisch rational denkender Mensch (Homo oeconomicus) seinen Nutzen. Mit Nutzen ist dabei gemeint, wie sehr ein Gut oder eine Dienstleistung bei der Befriedigung eines Bedürfnisses hilft. 

Wenn Personen ein Gut oder eine Dienstleistung als nützlich empfinden, dann bringen diese ihnen auf irgendeine Weise Vorteile oder Zufriedenheit. Dieser Nutzen kann auf unterschiedlichen Ebenen auftreten, wie beispielsweise physischer Nutzen (z. B. Sättigung durch Nahrung), psychologischer Nutzen (z. B. Freude oder emotionale Befriedigung) oder finanzieller Nutzen (z. B. Gewinn aus einer Investition). Oft wird Ökonomen unterstellt, sie hätten nur „Geld“, also den finanziellen Nutzen im Blick. Dies ist aber nicht der Fall, da der individuelle Nutzen eben auch Freude, Nahrung etc. sein kann. 

Beispiel Beispiel: Ein Verdurstender in der Wüste wird den Nutzen eines Glases Wasser als sehr hoch einschätzen. Auch das zweite Glas stiftet ihm aus seiner Sicht einen hohen Nutzen. Beim dritten oder vierten Glas ist der gröbste Durst vermutlich gestillt und der zusätzliche Nutzen nimmt mit jedem weiteren Glas ab. Ganz allgemein kann man also sagen, dass 

  1. der Nutzen etwas sehr Subjektives ist und jeder Mensch den Nutzen eines Gutes anders einschätzt. Der Nutzen basiert auf Vorlieben (Präferenzen) und Bedürfnissen einer Person.
  2. der zusätzliche Nutzen (= Grenznutzen) nimmt mit jeder weiteren konsumierten Einheit ab. 
 
4. Was versteht man unter Präferenzen

Unter Präferenzen versteht man Vorlieben. Präferenzen können folgende Ursachen habe: 

 

5. Ist der wirtschaftlich denkende Homo oeconomicus egoistisch oder altruistisch?

Gemäß dem Modell des Homo oeconomicus handeln Menschen immer rational und maximieren ihren Nutzen. Auf den ersten Blick könnte man dies als egoistisch bezeichnen, denn eine egoistische Person konzentriert sich nur auf sich selbst und maximiert den eigenen Nutzen. 

Allerdings kann die Maximierung des eigenen Nutzens auch bedeuten, dass man seine individuellen Bedürfnisse hinter die seiner Mitmenschen stellt und somit altruistisch handelt. Wirtschaftlich gesehen kann eigennütziges Verhalten einer Person drei unterschiedliche Folgen haben: 

 

6. Warum kann rationales Verhalten auch negative Folgen haben? 

Manchmal hat rationales (= vernünftiges) Verhalten des Einzelnen leider auch schädliche Folgen für die Gesellschaft. Mithilfe der von Mathematikern entwickelten Spieltheorie lässt sich dies nachweisen. Ein Beispiel hierfür stellt das sogenannte Gefangenendilemma dar: 

Tipp: Hören Sie sich die Erklärungen an und schreiben Sie parallel dazu Ihren Merkzettel (siehe Vertiefung).

Beispiel Beispiel: Nick und Lia hacken eine Onlinebank und werden daraufhin von der Polizei festgenommen. Allerdings hat die Polizei nicht genug Beweise, um sie wegen des Verbrechens anzuklagen. Die Polizei sorgt dafür, dass sich beide nicht absprechen können und bietet Nick und Lia jeweils einen Deal an:

  • Wenn beide gestehen, müssen beide für 6 Jahre ins Gefängnis. 
  • Wenn nur einer der beiden aussagt und die andere bzw. den anderen belastet, wird er oder sie als Kronzeuge bzw. Kronzeugin behandelt und erhält Straffreiheit. Der oder die andere muss für 10 Jahre ins Gefängnis. 
  • Wenn beide schweigen, können sie aus Mangel an Beweisen nur zu einer geringen Strafe von 3 Jahren verurteilt werden.

Betrachtet man die Entscheidungen von Lia und Nick jeweils getrennt, erscheint es erst einmal für beide rational (= vernünftig) zu gestehen, denn diese Entscheidung maximiert den individuellen Nutzen für jeden Einzelnen:

  • Für Nick ist es in jedem Fall vorteilhaft zu gestehen. Denn dann muss er „nur“ für 6 Jahre in Haft (statt für 10 Jahre, wenn er schweigt). Und im anderen Fall muss er 0 Jahre in Haft (statt für 3 Jahre, wenn er schweigt).
  • Für Lia gilt dasselbe. Auch für Sie ist es in jedem Fall besser zu gestehen. Sie muss dann für 6 Jahre in Haft (statt für 10 Jahre, wenn sie schweigt). Und im anderen Fall muss sie 0 Jahre in Haft (statt für 3 Jahre, wenn sie schweigt). 

Die Strategie, zu gestehen, nennt man in der Spieltheorie eine dominante Strategie, denn diese ist für Nick immer vorteilhafter – egal, was Lia tut. 

Allerdings führt diese getrennt getroffene Entscheidung nicht zu einem idealen Ergebnis. Für beide gemeinsam wäre es nämlich besser, wenn sie schweigen würden. Dann müssten beide nämlich „nur“ 3 Jahre ins Gefängnis. Das Beispiel zeigt, dass eine vernünftige individuelle Entscheidung nicht unbedingt eine gute kollektive (= gemeinsame) Entscheidung darstellen muss. Zwischen individueller Rationalität und kollektiver Rationalität besteht hier also eine Dilemmasituation (= Zielkonflikt). 

Das Gefangenendilemma ist sehr wichtig, denn viele Umweltprobleme wie z. B. die Allmendeprobleme lassen sich zumindest teilweise damit erklären.

Beispiel Beispiel: Für Hochseefischerinnen und Hochseefischer erscheint es rational, so viel Fisch wie möglich zu fangen. Sie handeln rational und maximieren ihren Nutzen. Für die Weltgemeinschaft als Ganzes ist dieses Verhalten allerdings negativ. 

 
7. Gibt es den Homo oeconomicus wirklich?

Den Homo oeconomicus gibt es in der Realität so natürlich nicht, denn Menschen handeln zuweilen irrational und lassen sich von Gefühlen, sozialen Normen usw. leiten. Bei allen volkswirtschaftlichen Modellen und Erklärungsversuchen sollte man also im Hinterkopf behalten, dass diese immer nur dann gelten, wenn Menschen sich komplett rational im Sinne des Homo oeconomicus verhalten.  

Beispiel Beispiel: Mithilfe eines Experimentes konnten Forscherinnen und Forscher nachweisen, dass sich Menschen nicht immer rational verhalten: Beim Ultimatumspiel spielen zwei Personen miteinander. Eine Person hat eine bestimmte Menge Geld, z. B. 100 € bekommen und muss einen Teil davon der anderen Person anbieten. Die andere Person kann das Angebot entweder akzeptieren oder ablehnen. Wenn sie den angebotenen Geldbetrag akzeptiert, bekommen beide Geld. Wenn sie ablehnt, bekommen beide nichts. Rational wäre es, wenn die andere Person jeden Geldbetrag – und sei dieser noch so klein – annimmt, denn selbst z. B. 5 € wären ja geschenkt und somit besser als nichts. 

In der Realität war es allerdings häufig so, dass Personen einen kleinen Geldbetrag, wie z. B. die oben genannten 5 € ablehnten. Sie fanden es unfair, dass eine Person 100 € bekommt und davon „nur“ 5 € abgibt. Das Ultimatumspiel zeigt also, dass Menschen nicht immer nur an ihren eigenen Vorteil denken, sondern auch auf Fairness achten. Sie wollen nicht, dass ihnen jemand etwas Unfaires anbietet und nehmen deshalb manchmal lieber gar nichts an, um ein Zeichen zu setzen.

 

 

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