Ausgangssituation: Mail von Sophie

Sie haben eine gute Freundin. Diese wohnt in Köln und macht dort eine Ausbildung als IT-Fachinformatikerin. Sie schreiben sich regelmäßig. 

Von Sophie Burns [sophie.burns@gmail.com]
Gesendet: Montag, der 15. Oktober 
An:  Schüler/in [schüler/in@humpis-schule.de ]
CC:   
Betreff:  Globalisierung, volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Verteilungsgerechtigkeit
Angefügt:   

 

Hallo,

du scheinst ja mit deinen Klassenkameradinnen und Klassenkameraden die Konferenz gerockt zu haben. Ziemlich cool, dass sich der Oberbürgermeister von Ravensburg von euren Argumenten überzeugen ließ und den Altdorfer Forst nun doch nicht komplett zur Abholzung freigibt.

In wirtschaftlichen Fragen bist du ja echt fit. Deswegen brauche ich auch mal deinen Rat. Wie du weißt, bin ich bei Attac. Das ist eine Nichtregierungsorganisation, also ein nichtstaatlicher Interessenverband. Wir sehen die zunehmende Globalisierung kritisch.

Momentan wird bei Attac gerade das MERCOSUR-Abkommen heftig diskutiert. Soweit ich es verstanden habe, möchte die Europäische Union mit diesem Freihandelsabkommen die Zusammenarbeit mit den MERCOSUR-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay neu regeln. Und zwar so, dass die EU-Staaten ihre Waren weitgehend unbeschränkt in die MERCOSUR-Staaten exportieren dürfen.

Bei Attac sind wir der Meinung, dass dieses Freihandelsabkommen für die Südamerikanischen Staaten schlecht ist, denn für die Wirtschaft von z. B. Brasilien ist es bestimmt verheerend, wenn die Märkte dort mit billigen deutschen Produkten geflutet werden. Ich nehme mal an, dass brasilianische Unternehmen bestimmt nicht so viele qualifizierte Arbeitskräfte und Kapital haben wie deutsche Unternehmen. Und deswegen sind die brasilianischen Unternehmen wahrscheinlich auch nicht so produktiv und günstig. Wenn in Brasilien die ganzen Unternehmen pleitegehen, dann sind die Menschen dort alle arbeitslos. Zu allem Überfluss müssen die Brasilianerinnen und Brasilianer dann deutsche Produkte kaufen, denn heimische Unternehmen gibt es nicht mehr.

Das wäre total ungerecht, denn deutsche Unternehmen verdienen sich so eine goldene Nase auf Kosten der Menschen in Brasilien. Damit wäre der Reichtum zwischen Deutschland und Brasilien noch ungerechter verteilt, als er es ohnehin schon ist.

Das dachte ich zumindest. Allerdings habe ich am Wochenende in einer Bar einen Typen kennengelernt. So ein BWL-Heini von einem Wirtschaftsgymnasium (hups, da bist du ja auch?). 

Na ja, jedenfalls meinte er, dass es nicht zwingend so ist, dass Brasilien ein Nachteil hat, wenn es mit Deutschland handelt. Er hat mir das an einem (vereinfachtem) Beispiel erklärt. Es ging dabei um die Produktion von Sojabohnen und Autos. Deutschland kann mit 100 Arbeiterinnen und Arbeiter pro Monat entweder 600 Tonnen Soja oder 200 Autos produzieren. Brasilien kann mit 100 Arbeiterinnen und Arbeiter pro Monat 600 Tonnen Soja oder 100 Autos produzieren. Er war sich aber sicher, dass Handel gut für beide Länder ist. Seiner Meinung nach hing dies irgendwie mit

  1. Produktionsmöglichkeitenkurven 
  2. Opportunitätskosten
  3. einer sinnvollen Arbeitsteilung zusammen. 

Zudem hat er mir widersprochen, dass Brasilien den deutschen Unternehmen hilflos ausgeliefert ist. Er meinte, dass Brasilien die eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein Stück weit selbst in der Hand hat. Es kann z. B. die Arbeitsproduktivität erhöhen. Dazu muss es sparen, Kapital bilden und investieren. Brasilien müsse zudem für eine optimale Allokation der Produktionsfaktoren sorgen. Dann könnte Brasilien auch mehr Soja produzieren. Er hat anhand einer Tabelle erklärt, wie die Produktion von Soja auf z. B. 800 Tonnen gesteigert werden könnte. Ich habe sie dir abfotografiert:

Tabelle: Sojaproduktion (in Tonnen)
  Arbeiter:innen
Produktionsfaktor 60 80 100 120 140
Sojaproduktion nur mit Hilfe von Arbeitskräften (Arbeit) 350 t 480 t 600 t 710 t 800 t
Sojaproduktion mit zusätzlicher Hilfe von Traktoren (Kapital) 500 t 660 t 800 t 920 t 1.040 t

 

In seinem Beispiel betrugen die Arbeitskosten für eine Arbeiterin bzw. einen Arbeiter im Monat 400 €. Durch Abnutzung und den damit einhergehenden Wertverlust der Traktoren entstehen Kapitalkosten in Höhe von 10.000 € im Monat. Das Beispiel habe ich nur teilweise verstanden. Kannst du mir erklären, was er im obigen Beispiel mit 

4. Arbeitsproduktivität 

5. Sparen, Kapitalbildung und Investitionen

6. optimale Allokation der Produktionsfaktoren meinte? 

Der nette BWLer sagte allerdings auch, dass internationaler Handel für die Menschen in Brasilien nur dann vorteilhaft ist, wenn die Gewinne aus dem Handel nach fairen Prinzipien verteilt werden und es nicht zu Verteilungskonflikten kommt. Kannst du mir erklären, was er mit 

7. Verteilungsprinzipien und 

8. möglichen Verteilungskonflikten in Brasilien gemeint hat? 

Am besten erklärst du mir das Ganze verständlich, korrekt und anschaulich. Wir haben nämlich nächsten Freitag ein Treffen von Attac. Bis dahin wüsste ich gerne Bescheid. Vielen Dank für deine Hilfe.

Viele Grüße aus Kölle

Sophie Burns

 

 

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