Handlungssituation
Katrin arbeitet als Auszubildende in der 4-gruppigen Kindereinrichtung „Rappelkiste“. Neben ihrer Anleiterin Frau Müller, die schon viele Jahre in ihrem Beruf arbeitet, betreut die Gruppe „Seepferdchen“ weiterhin noch Jens als Berufsanfänger. Die Einrichtung hat einen eigenständig arbeitenden Krippenbereich und einen Regelbereich. Zur Frühstückszeit ist das Esszimmer von 8.00-10.00 Uhr für alle Kindergartenkinder der Einrichtung geöffnet. Die Kinder suchen sich in dieser Zeit selbständig einen Platz und frühstücken ihr selbst mitgebrachtes Frühstück. Wenn alle Plätze besetzt sind, kann der Lärmpegel auch schon einmal etwas höher sein. Die Beaufsichtigung des Frühstücks wird durch eine wechselnde Besetzung vom gesamten Team sichergestellt, wobei die Erzieherinnen und Erzieher selten direkt bei den Kindern mit am Tisch sitzen.
Katrin geht ohne Frühstück aus dem Haus und bekommt so gegen 10.00 Uhr großen Hunger. Auf dem Weg zur Arbeit kauft sie sich jeden Morgen beim Bäcker Donuts oder Schokocroissants, die sie jedoch in der Kita nur heimlich essen kann.
Das Mittagessen beginnt um 12.00 Uhr und wird in festen Tischgruppen gemeinsam im Esszimmer eingenommen. Jeweils ein Erzieher oder eine Erzieherin sitzen mit am Tisch, essen jedoch nicht mit. Frau Müller ist beim Essen besonders wichtig, dass jedes Kind von jeder Speise wenigstens probiert hat. Auch besteht sie darauf, dass die Teller leer gegessen werden. Im Team werden diese aufgestellten Regeln nicht von allen mitgetragen.
Das Essen wird von einem Caterer warm angeliefert. Katrin beobachtet, dass die Kinder oftmals und viel Essen übriglassen. Auch beim letzten Elternabend hagelte es bezüglich des Speiseangebots Beschwerden. Das Team überlegt nun, wie und was zu tun ist, um die Essenssituation zu verbessern.
Im vergangenen Monat hatte Katrin von ihrer Anleitung Frau Müller in Vorbereitung auf ein Elterngespräch die Aufgabe, Lina (3;2 Jahre) hinsichtlich ihres Essverhaltens zu beobachten. Lina ist ein sehr aufgewecktes, agiles Kind, das sehr leicht Kontakte zu anderen Kindern herstellen kann und sich ganz besonders wohl mit ihren zwei Freundinnen fühlt. Neulich zur Frühstückszeit machte Katrin jedoch eine etwas andere Beobachtung: Lina stand wie versteinert am Eingangsbereich, ihren Rucksack in der Hand, und konnte sich nicht entschließen, sich einen Platz zu suchen. Erst nach mehrmaligem Auffordern und freundlichem Zuspruch von Frau Müller, sich doch neben ihre beiden Freundinnen zu setzen, nahm Lina sehr zögerlich am Tisch Platz.
Zum Ende der Frühstückszeit hatte Lina keinen einzigen Bissen ihres liebevoll gerichteten Vespers angerührt. Auch fiel Katrin auf, dass Lina an den Tagen mit freiem Frühstück so gegen 11.30 Uhr sehr quengelig, müde und unausgeglichen wird. In der Krippe hatte Lina keine Probleme mit dem Essen. Dort wird in kleinen Tischgruppen mit 4-5 Kindern und der/m Bezugserzieher/in gegessen. Die Kinder haben ihren festen Platz, der mit einem Foto vom Kind gekennzeichnet ist. Während des Essens herrscht eine ruhige, angenehme Atmosphäre, bei der die Bezugserzieher/in ganz für die Kinder da ist und ihre Bedürfnisse erkennt und befriedigt, aber die Kinder auch alle Handlungen, die sie bereits selbständig tun können, tun lässt.
Donnerstags wird gemeinsam mit 4-5 Kindern einer Gruppe das Frühstück zu einem gewählten Thema, z. B. Jahreszeit, aus unseren Gärten, alles selbstgemacht, aus einer bestimmten Region oder einem bestimmten Land, unsere Sinne vorbereitet: saisonales und regionales Gemüse und Obst aus dem EU-Schulprogramm geschnitten, ein Kräuterquark gerührt oder in der Weihnachtszeit Plätzchen gebacken. Immer wieder werden auch die Eltern der Kinder zum Vorbereiten und gemeinsamen Frühstücken eingeladen. Hierfür wird die Frühstückstafel passend zum Thema von den Kindern festlich geschmückt, es gibt feste Plätze und entsprechende Rituale bilden den Rahmen dieses gemeinsamen Gruppenfrühstücks.
Jens kümmert sich besonders intensiv um Ben und Tobias. Ben (4;2 Jahre) ist ein meist fröhliches aufgewecktes Kind, leicht übergewichtig und vom Esstyp Vielesser. Ben hat in der Einrichtung viele Freunde gefunden, in letzter Zeit beobachtet Jens jedoch, dass sich Ben zurückzieht und bei Bewegungsspielen nicht mehr gerne mitmacht. Es gab bereits ein Gespräch mit Bens Eltern, da er sehr viel zum Frühstück mitbekommt, auch Süßigkeiten und gesüßte Getränke. In der Konzeption der Einrichtung und auch in dem Faltblatt, das die Eltern bei der Anmeldung bekommen, ist jedoch verankert, dass diese Lebensmittel vermieden werden sollten. Die Mutter zeigte sich jedoch uneinsichtig, Ben brauche so viel, weil ihm das Essen mittags nicht schmecke. Jens machte jedoch andere Beobachtungen: Ben isst manchmal auch die Portion eines anderen Kindes auf. Jens hat bemerkt, dass Ben sehr gerne auch Gemüse und Obst akzeptiert und auf die Süßigkeiten aus seiner Brotdose verzichtet. Auch konnte er Ben zu fantasievollen Bewegungsspielen motivieren, an denen er viel Freude hat.
Tobias (3;0 Jahre) ist noch nicht lange in der Einrichtung und ein eher vorsichtiges Kind, was Jens auch beim Essen beobachtet. Jens notiert ins Portfolio folgendes: Tobias beobachtet mich und die anderen Kinder beim Essen sehr genau, braucht viel Zeit zum Essen und lehnt neue Speisen erstmal ab.
Die Eltern von Tobias sind sehr besorgt wegen seines Essverhaltens. Jeden Tag werden die Erzieherinnen und Erzieher genau befragt, was und wie viel Tobias zu sich genommen hat.
Seitdem Jens bemerkt hat, dass die Kinder sehr genau auch seine Frühstücksbox und seine Essgewohnheiten beobachten, achtet er sehr auf ein ausgewogenes und vollwertiges Frühstück. Zuhause ernährt sich Jens vorwiegend von Fertigprodukten.