C - Friedrich Schiller: Die Schaubühne als moralische Anstalt
Friedrich Schiller: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet (1784)
Bei diesem Text handelt es sich um eine Rede, die Friedrich Schiller am 26. Juni 1784 vor der kurpfälzischen Deutschen Gesellschaft in Mannheim gehalten hatte. Die Mitglieder dieser Gesellschaft bemühten sich um die Verbesserung der Moral und um die Reinigung der deutschen Sprache. Das Theater hingegen betrachteten sie hauptsächlich als Ort für kurzweilige Unterhaltung. Mit seiner Rede wollte Schiller die Mitglieder der Gesellschaft darauf aufmerksam machen, dass das Theater auch auf die moralischen Einstellungen der Besucher emotional und intellektuell einwirkt. Zudem versuchte er mit dieser Rede, sich auf eine frei gewordene Stelle als Sekretär dieser Gesellschaft zu bewerben.
Textauszüge
„[…] So gewiss sichtbare Darstellung mächtiger wirkt, als toter Buchstabe und kalte Erzählung, so gewiss wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.“
„[…] Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele. […]“
„Aber nicht genug, daß uns die Bühne mit Schicksalen der Menschheit bekannt macht, sie lehrt uns auch gerechter gegen den Unglücklichen sein und nachsichtsvoller über ihn richten. Dann nur, wenn wir die Tiefe seiner Bedrängnisse ausmessen, dürfen wir das Urtheil über ihn aussprechen. […] Menschlichkeit und Duldung fangen an, der herrschende Geist unsrer Zeit zu werden; ihre Strahlen sind bis in die Gerichtssäle und noch weiter – in das Herz unsrer Fürsten gedrungen. Wieviel Antheil an diesem göttlichen Werk gehört unsern Bühnen? Sind sie es nicht, die den Menschen mit dem Menschen bekannt machten und das geheime Räderwerk aufdeckten, nach welchem er handelt? Eine merkwürdige Klasse von Menschen hat Ursache, dankbarer als alle übrigen gegen die Bühne zu sein. Hier nur hören die Großen der Welt, was sie nie oder selten hören – Wahrheit; was sie nie oder selten sehen, sehen sie hier – den Menschen.“
„Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden, bessern Theile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks; der Nebel der Barbarei, des finstern Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht.“
Quelle: www.projekt-gutenberg.org/schiller/anstalt/anstalt.html [09.03.2022]