Fallbeispiele Vorurteile"
Fall 1: Julia aus Stuttgart
Vorurteile im Alltag sind ja immer so eine Sache. Manchmal merken die Leute nicht einmal, dass sie andere mit ihren Aussagen verletzen. Ich hatte eine solche Situation mal bei einer Bewerbung. Ich saß in einem Gespräch mit dem Chef einer IT-Firma, bei der ich mich für ein Praktikum beworben hatte. Ich hatte das Gefühl, dass die Unterhaltung eigentlich ganz gut verlief. Die Arbeitsplatzbeschreibung war interessant und die Aufgaben klangen spannend. Dann schaute sich der Chef meine Zeugnisse an. „Also für eine Frau haben Sie ja wirklich ordentliche Noten in Mathe und IT, das sieht man ja eher selten. Das sind ja eigentlich keine „Mädchenfächer“, dabei grinste er ganz komisch. Ich beendete das Gespräch relativ schnell und sagte in einer Mail den Praktikumsplatz ab. Ich glaube, der Chef hat damals nicht einmal gemerkt, dass er mich mit seiner beiläufigen Aussage verletzt hat.
Fall 2: Matthias aus Frankfurt
Manchmal gibt es Tage, da sind mir solche Sprüche egal, die prallen dann ab und ich sage mir, die blicken vielleicht gar nicht, was sie da gerade gesagt haben. Aber dann gibt es wieder Tage, an denen mir das richtig nahe geht. Neulich war so eine Situation. Ich war abends noch mit meinem Freund und unserem Hund Gassi gehen. Wir sind einmal um den Block, wie ein ganz normales Paar eben, haben uns an der Hand gehalten, aber nicht aufdringlich oder provokativ oder so. Als wir an der Ecke vom Park abgebogen sind, war da auf einmal dieses ältere Ehepaar, das an uns vorbeilief. Der Mann, so um die 70, sagte zu seiner Frau: „Das ist ja ekelhaft, so was sollte echt verboten werden. Wo kommen wir denn da hin, wenn jetzt schon Männer Händchen halten dürfen. Bei denen stimmt doch etwas nicht. Früher hätte es so etwas nicht gegeben.“
Ich wusste nicht, wie ich in diesem Moment reagieren sollte und habe schließlich gar nichts gesagt. Aber der Abend war für mich gelaufen.
Fall 3: Orhan aus Ulm
Letzte Woche war an unserer Berufsschule die Feier zu unserer bestandenen Prüfung. Es war eigentlich ein toller Abend - sehr festlich. Alle Absolventinnen und Absolventen wurden einzeln auf die Bühne gerufen und der Schulleiter richtete an jeden ein paar persönliche Worte, wenn zum Beispiel jemand besonders gute Leistungen erbracht oder an einer Projektgruppe teilgenommen hatte. Als ich an der Reihe war, freute ich mich schon auf ein paar Sätze über mein IT-Projekt, das sogar einen Preis von der Stadt bekommen hatte. Doch es kam ganz anders. Der Chef begann in der Tat kurz auf das erfolgreiche Projekt einzugehen, dann aber meinte er: „Das ist ja schon eine tolle Leistung für jemanden wie Sie, da sieht man mal, wie gelungene Integration funktioniert."
Ich nahm wortlos mein Zeugnis entgegen und ging möglichst schnell zurück auf meinen Platz.
Fall 4: Elisa aus München
Ich studiere Luft- und Raumfahrttechnik an der Uni in München. Eine ganz schön teure Stadt. Also arbeite ich nebenher noch als Kellnerin in einem Café, damit ich mir die Miete, die Monatskarte für die U-Bahn usw. leisten kann. Ich meine, ich habe schon so einige komische oder unverschämte Gäste gehabt, aber letzte Woche, da musste ich mich echt zusammenreißen.
An diesem Tag war ziemlich viel los, klar, das Wetter ist jetzt im Frühling wieder besser und es zieht die Menschen nach draußen, ein bisschen Sonne tanken. Wir haben bei uns im „Berthas“ einen großen Garten mit ca. 30 Tischen und wenn die alle voll sind und alle Gäste gleichzeitig etwas wollen, dann kann es schon einmal etwas hektisch werden. Ich habe einem Gast dann statt einer Apfelsaftschorle eine Zitronenlimonade gebracht, einfach, weil ich die Tische verwechselt hatte. Er kommentierte das Ganze dann ziemlich unverschämt mit: „Na ja, es hat schon seine Gründe, dass Sie hier als Kellnerin arbeiten und nicht als Manager.“ Ich hätte ihm am liebsten laut meine Meinung gegeigt und dass ich eigentlich Luft- und Raumfahrttechnik studiere und das mit ganz passablen Noten. Ich habe das dann aber doch nicht gemacht. Ich wollte keinen Ärger.
Fall 5: Jelena aus Hamburg
So richtige Beleidigungen bekomme ich eigentlich nur selten mit. Klar, manchmal schnappe ich so einzelne Wörter wie „Spasti" oder "Behindi“ auf, aber das versuche ich dann einfach zu ignorieren. Viel schlimmer ist es für mich eigentlich, wenn ich merke, dass die Leute mich für völlig hilflos halten und mir nichts zutrauen. Ich sehe das dann an ihren mitleidigen Blicken oder ihrem Übereifer, mir unbedingt helfen zu wollen. Oftmals ist das aber nicht, weil sie das wirklich wollen, sondern weil man das bei Behinderten eben so macht, vielleicht auch, um sich selbst besser zu fühlen. Ich sitze seit einem Sportunfall im Rollstuhl und ja, manchmal ist der Alltag für mich unendlich schwer und anstrengend. Aber die Leute sehen in mir immer nur „die arme Behinderte“ und nicht, dass ich einfach nur ein ganz normaler Mensch bin, der durch einen Unfall in manchen Situationen eben eingeschränkt ist. Aber das ist „nur“ ein Teil von mir, nicht meine ganze Persönlichkeit und wir sind auch nicht alle hilflos.
Fall 6: Aishe aus Nürnberg
Ich habe Lehramt studiert und unterrichte Deutsch und Wirtschaft an einer Nürnberger Realschule. Letzte Woche war Elternsprechabend und ich hatte wirklich viele nette Mütter und Väter im Gespräch, die mich immer wieder auch für den Unterricht und den Umgang mit den Schülerinnen und Schülern lobten. Doch eine Mutter schoss dabei ziemlich übers Ziel hinaus, leider wahrscheinlich, ohne dies selbst zu merken.
„Also ich muss ja schon sagen, ich war am Anfang ja schon skeptisch. Eine Frau Özgun und dann als Deutschlehrerin. Da fragt man sich ja schon, ob das eigentlich passt. Aber meine kleine Lisa sagt, sie machen einen wirklich tollen Job, und ich empfinde das auch so, jetzt wo wir uns persönlich kennenlernen. Sie sprechen, für eine von ihnen, ja wirklich ein ausgezeichnetes Deutsch. Wo sind Sie denn geboren?“
In diesem Moment war ich einfach nur platt. Sie meinte das bestimmt nicht böse. Aber mich nur anhand meines Namens in eine Schublade zu stecken und mich dann dafür zu loben, dass ich meine Muttersprache spreche, das empfand ich schon als starkes Stück. Ich antwortete ihr dann nur: „Nürnberg Nordstadt“.
Fall 7: Ismael aus Neuss
Letzte Woche habe ich etwas erlebt, das mir wirklich nahe gegangen ist. Mit Grauen habe ich in letzter Zeit die Meldungen verfolgt, dass es zu Anschlägen mit fremdenfeindlichem Hintergrund gekommen ist. Da töten Leute gezielt Menschen, weil sie einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund haben, das macht mich richtig fertig. Ich fahre jeden Tag mit der Bahn zur Arbeit und habe mich neben einen älteren Herrn gesetzt, der während der Fahrt die Zeitung mit einem Bericht über einen solchen Anschlag in Hanau gelesen hat. Plötzlich sah er von seiner Zeitung auf und schaute mich lange an. Ich sagte zu ihm, „Schlimm, diese Anschläge, nicht wahr?“. Darauf antwortete er nur: „Die sind doch alle gleich, um die es da geht. Die kommen nach Deutschland, nehmen uns die Arbeit weg und wollen uns ihren Glauben aufdrängen, der zu Terroranschlägen aufruft.“
Ich war sprachlos. Wie konnte es sein, dass hier große Teile der Bevölkerung einfach in eine Schublade gesteckt wurden und, noch schlimmer, solche grausamen Taten, die Menschen das Leben kosten, damit anscheinend gerechtfertigt werden. Das ist einfach furchtbar.
Hinweis: Bei den Texten handelt es sich um fiktive Interviews, geschrieben durch den Ersteller der Materialien.